Reisebericht: Friedenskinder in Vietnam – eine Herzensangelegenheit

Seit dem Krieg, der in den siebziger Jahren ein Ende fand, kommen in Vietnam beinahe zehn Prozent aller Neugeborenen mit Behinderungen zur Welt. Schuld daran ist das berüchtigte „Agent Orange“, das aus amerikanischen Flugzeugen in Mengen über den Wäldern versprüht wurde, um Bäume zu entlauben, damit der Feind am Boden besser zu bekämpfen sei.
Dieses Gift wirkt auch heute noch, denn durch das Leben auf verseuchtem Boden haben sich genetische Veränderungen ergeben, die über Generationen bestehen bleiben. Kinder werden ohne Augen oder mit verstümmelten Gliedmaßen geboren, mit geistiger Behinderung oder schweren Herzfehlern. In der Volksrepublik Vietnam ist nicht jeder ausreichend krankenversichert. Eine Herzoperation kostet im Schnitt etwa 1200 € , ein Betrag den die meisten Eltern nicht aufbringen können.

Die Friedenskinder Koblenz wurden in Vietnam bereits über vierhundert Herzoperationen bezahlt und begleitet. Auch ein Waisenhaus und besonders arme Familien werden unterstützt. Damit jeder Euro bei den Bedürftigen ankommt, arbeiten die Friedenskinder mit dem Marienorden Dong Con Duc Me Di Vieng in Hue zusammen, wo ein engagiertes Team von Schwestern und Ärzten die Auswahl der kranken Kinder vornimmt, finanzielle Möglichkeiten der Familien gewissenhaft überprüft und sie nach der Operation begleitet.

Reisebericht: Friedenskinder in Vietnam – eine Herzensangelegenheit

Welche Erinnerungen werden bleiben, wenn wir an unsere Reise nach Vietnam denken? Wir sind an weißen Sandstränden entlang gelaufen, mit Booten auf riesigen Flüssen gefahren, haben Tempel besichtigt und auf bunten Märkten eingekauft. Wir haben köstlich gegessen, den hervorragenden Service bestaunt und uns vom bunten Treiben in den Städten mitreißen lassen. Zeitweise konnten wir uns wie Touristen fühlen und von einem außergewöhnlichen Land schwärmen, das wir gerne wiedersehen möchten.

Aber Vietnam zu bestaunen und zu genießen war nicht unser Auftrag. Wir wollten sehen, wo die Spenden der Friedenskinder eingesetzt sind, wie sinnvoll unsere Projekte verwirklicht werden und wo in Zukunft noch Arbeit nötig ist. Mit Hai Nguyen hatten wir einen Projektleiter an der Seite, der uns sprachlich und menschlich Zugang zu Not und Verzweiflung verschaffte, aber vor allem auch zu beeindruckendem Engagement, zu alltäglicher Unterstützung, zu Nächstenliebe und Glück.

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Familien übernehmen die Betreuung

Unser erster Besuch gilt der Herzchirurgie im Zentralkrankenhaus von Hue. Hier werden Kinder teilweise schon im Alter von drei Monaten operiert. Alle zehn Krankenzimmer der Station sind mit jeweils acht belegten Betten ausgelastet. Ein erster, noch etwas unsicherer Blick, trifft sich mit den Augen der Eltern. Wir spüren Angst und Hoffnung bei den Müttern, ahnen auch Scham bei Vätern. Vielleicht interpretieren wir unseren Eindruck nur, aber das Gefühl füllt den Raum, so unberechtigt es auch ist.
Der Zusammenhalt der Familien ist hier besonders wichtig. Selbst eine Großmutter ist dabei, die ihre Tochter tröstend im Arm hält. Der Schwiegersohn ist verstorben, also übernimmt sie den seelischen Beistand. Ihr Enkel, der kleine Bao Quan liegt eingekuschelt in eine warme Decke und wirkt besonders schwach und abgemagert. Seine Lippen und Hände sind bereits blau. Dr. Dung berichtet uns später, dass dieses Kind seine derzeit größte Sorge sei, denn bevor es eine Operation überstehen könne, müsse es „aufgepäppelt“ werden, und die Zeit laufe davon. Die Mutter kann ihre Tränen nicht zurückhalten, und so müssen wir uns Mühe geben, dass unser Mitgefühl nicht die Zuversicht verdeckt. Aber das gelingt, denn ringsum schlagen uns Freude und Dankbarkeit entgegen – mit einer Wucht von Blicken, Gesten und dem herzlichen, beinahe vertrauten Händedruck.

Engagiert, kompetent und herzlich - Das Team der Schwestern
Engagiert, kompetent und herzlich – Das Team der Schwestern

Das tagelange Warten der Familien wird durch Untersuchungen unterbrochen und durch Spiele, die mit den Kindern noch möglich sind.20160118_083349

Essen erhalten die Eltern über Straßenküchen vor dem Krankenhaus. Die Nächte verbringen die Mütter meist im Bett ihrer Kinder, die Väter liegen darunter auf dem harten Boden. Ein Leben aus Plastiktüten und Sporttaschen. Nach unserem Abschied bleiben vor allem die braunen Augen in unseren Gedanken, tiefe Blicke, starke Emotionen. Wir sind die Beschenkten.

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Nach der Operation – Das Glück hat sich wieder eingestellt

Der Weg zu unserer zweiten Station führt uns hinaus aus der Stadt, vorbei an Reisfeldern und kleinen Dörfern. Hier lebt die Bauernfamilie Le Xuan Quan: Großeltern, Vater und Mutter, zwei fast erwachsene Söhne und Xuan Mau, der vierjährige Stolz der Familie. Seine Operation hat er vor einem halben Jahr gut überstanden. Ein wenig aufgeregt über den seltenen Besuch hüpft er um uns herum. Wir dürfen Fotos machen, von den zwei kleinen Zimmern mit Bambusmatten und Kleiderstangen, von der Küche mit der alten Kochplatte und vom Hausaltar, auf dem neben der Mutter Gottes die Bilder der Verstorbenen stehen. Wir sollen auch Xuan Mau fotografieren damit alle sehen, wie gut die Narbe verheilt ist.

In einem anderen Haus, einer Garage ähnlich, sitzt Frau Lan an ihrer alten Nähmaschine und arbeitet Aufträge der Nachbarschaft ab. Ihr Mann ist Fabrikarbeiter und nicht zu Hause. Die kleine Tuyet Lan ist etwa zwanzig Monate alt und wurde vor ein paar Wochen ebenfalls am Herzen operiert. Sie liegt in einem Körbchen und schaut interessiert der Arbeit zu. Ein Blick in die angrenzende Einraumwohnung zeigt uns, dass die Armut hier noch größer ist, als bei unserem vorherigen Besuch. Doch das entspannte Lächeln der beschäftigten Näherin sagt uns, dass langsam der Alltag einkehrt. Die Kleine ist wohlauf und wird leben.

Am kommenden Tag besuchen wir das Kinderheim in Kim Doi, das ebenso durch Spenden der Friedenskinder unterstützt wird. Hier versorgen sechs Schwestern des Ordens zwei Vorschulklassen mit jeweils sechzig Kindern und eine Gruppe Waisenkinder. 20160118_084044Außerdem werden nachmittags ein Nähkurs und Nachhilfeunterricht angeboten.
Gerade ist Mittagsschlaf angesagt. So findet Schwester Therese Zeit, uns durch die Einrichtung zu führen. Zunächst zeigt sie uns die Küche, wo auf drei Holzkochstellen das tägliche Essen zubereitet wird. Im Waschraum beeindruckt die Ordnung, mit der die kleinen bunten Zahnbürsten aufgereiht an ihren Haken hängen. Das Spielzimmer lässt uns aufmerken. Hier muss etwas getan werden, denn drei alte Plastikpuppen und ein paar bunte Plüschbären können nicht ausreichen, um die vielen Kinderseelen zu erfreuen.
20160118_075636Dazu trägt jedoch mit Sicherheit der Garten bei. Beete, in denen auch die Jüngsten ihre Aufgaben bekommen, bunte Blumen, Früchte überall. Daneben, unter einem Dach, entdecken wir eine Art Schulklasse, mit alten Tischen, Bänken und einer Tafel. Hier findet der tägliche Unterricht statt, für Kinder die wissen, wie wichtig eine Schulbildung ist, die aufpassen und lernen möchten.
Ein Loch im Boden, eingefasst von ein paar Fliesen, ist die Toilette. Das jährliche Hochwasser hat den Untergrund weggespült und für akute Einsturzgefahr gesorgt. Wir versprechen Unterstützung, erfahren wir doch, dass ein Angebot des Handwerkers für den Neubau einer kompletten Anlage achthundert Euro nicht überschreiten wird.
Dann ist Zeit zum Aufwachen. Noch schläfrig, aber vollkommen selbstverständlich räumen auch die Kleinsten ihre Matten zusammen, waschen sich, putzen sich die Zähne und versammeln sich im Kreis.
Wir werden mit Liedern und kleinen Tänzen empfangen, bestaunt und berührt.
Ein Baby und seine Geschichte lassen uns nicht mehr los. Seit es auf der Waisenstation abgegeben wurde, wirkt es traurig. Viele bemühen sich, ein Lächeln auf sein Gesicht zu zaubern, doch dies gelingt niemand außer Schwester Nhung. Der Freude, die sie ausstrahlt, kann auch dieses kleine Wesen nicht widerstehen. Auf ihrem Arm muss es einfach lächeln. Für Babynahrung und Medikamente sorgen die Friedenskinder.

In den nächsten Tagen erfahren wir noch mehr von Schicksalsschlägen, die ohne Unterstützung nicht zu überwinden sind. In den Bergen, nordwestlich von Hue kümmert sich Pastor Hieu mit großem Einsatz um die Menschen aus sieben Dörfern seiner Gemeinde.
Zunächst bestaunen uns ein paar Kinder. Heute haben sie keine Schule, denn der Lehrer ist krank. Für Vertretung ist nicht gesorgt, und so kann man sich den zehn Kilometer langen Fußweg sparen.
Pastor Hieu empfängt uns mit einnehmendem Lachen, das wir an diesem Tag noch häufig hören werden. Nachdem er uns seine kleine Kirche gezeigt hat, die buchstäblich in Nacht- und Nebelaktionen ohne Genehmigung gebaut wurde, führt er uns durch das Dorf.
Da gibt es beispielsweise Familie Duyen, die vor Jahren den Vater durch einen tödlichen Arbeitsunfall verloren hat. Die Mutter arbeitet als Tagelöhnerin in der Kautschukplantage. Für das Schulgeld der elfjährigen Tochter Na könnte sie nicht aufkommen, wenn nicht ein „Friedenskind“ die Patenschaft übernommen hätte. Etwas schüchtern und doch stolz probiert Na die rote Regenjacke an, die wir ihr aus Deutschland von einer Nachbarin mitgebracht haben.

Um Schulgeld geht es auch bei der Familie, die gegenüber wohnt. Die Großmutter berichtet uns, dass ihr Sohn von einem Moped angefahren wurde und seitdem beeinträchtigt ist. Er kann nur noch unverständlich sprechen und ist stark gehbehindert. Tagsüber, während sie und die Schwiegertochter in der Plantage arbeiten, muss er betreut werden. Das kostet so viel, dass die zwölfjährige Enkelin, bisher eine besonders begabte Schülerin, zur Tante in die Stadt gezogen ist. Hier arbeitet sie in einer Näherei, um den Monatslohn von etwa 50 Euro nach Hause zu schicken. Einmal in der Woche wird ein Anruf vereinbart, von Heimweh und Tränen bestimmt. Auch die Großmutter weint, als sie dies erzählt. Wir versprechen, eine Patenschaft für Thanh Huong zu organisieren, damit sie schnell zurück zu ihrer Familie kann.

Weiter geht es durch das Dorf. Ein geistig behinderter Junge verfolgt uns gut gelaunt, macht seine Späßchen und freut sich über die Gummibärchen, die jeder von uns in der Tasche hat. Ein Mädchen, das irgendwie von unseren Möglichkeiten der Hilfe mitbekommen hat, schaut uns mit traurigem Blick nach. Was würde sie wohl am dringendsten brauchen?

20160118_121030Zurück in Hue sitzen wir mit den Schwesternschülerinnen des Marienordens zusammen. Sie schälen Ingwer, zuckern und trocknen ihn, um ihn für gute Zwecke zu verkaufen. Ihr Lachen, ihre Fröhlichkeit, ihre Lieder, diese unglaubliche Herzlichkeit! Wir werden Menschen in Erinnerung behalten und bestimmt zurückkommen.