„Beschämt und voller Glück zugleich“
Interview mit Hartmut Hoefs, Vorstandsmitglied im Verein „Friedenskinder e.V.“
Statt-Magazin 2017/10: Friedenskinder – das ist eine tolle Organisation, die von Koblenz aus aktiv ist. Wer steht dahinter, was macht ihr und was sind eure Erfolge?
H. Hoefs: Der Verein Friedenskinder ist in Arzheim aus einer Privatinitiative entstanden, vor allem um die Familie Wangelinund Ba Hai Nguyen, einem ehemaligen „Boat People“, der in den Siebzigern in Koblenz aufgenommen wurde. Begonnen hatte mandamals im Balkan-Krieg mit einer Bosnien-Hilfe. Inzwischen engagieren wir uns in vielen Ländern: Kenia, Vietnam, Pakistan, Ruanda, Kambodscha und Sri Lanka. Außerdem unterstützen wir hier in Koblenz Flüchtlingskinder, etwa aus Syrien. Immer geht es uns um Kinder.
Statt-Magazin: „Damit Kinder Kinder sein dürfen. Eine schöne Kindheit braucht vor allem eins: Frieden“, heißt es in eurem Prospekt.
H.Hoefs: Genau. Ich habe als junger Mensch den Vietnam-Krieg in den Medien miterlebt. Das geht mir immer noch nach. Kinder können nichts für das Versagen der Politik. Sie leiden an den Folgen von Kriegen und Katastrophen und müssen Armut, Krankheit oder Benachteiligung erleben. Ihnen wollen wir eine Zukunft ermöglichen. Dazu gründeten und fördern wir Schulen, Kindertagestätten, ein kleines Waisenhaus, ein Kinderheim für Straßenkinder. Außerdem leisten wir Einzelhilfe für Behinderte, die es gerade in Vietnam in hohem Maße gibt. Ein besonders wichtiges Projekt, das viele Hilfsgelder benötigt, ist dort die Finanzierung von Herz-Operationen. Jede kostet etwa 1000 €, bisher haben wir bereits 500 bezahlen können.
Statt-Magazin: Unglaublich! – Du warst ja selbst dieses Jahr wieder in Vietnam. Mit welchen Erfahrungen bist du zurückgekommen?
H.Hoefs: Vietnam ist ein wunderschönes Land, eine andere Welt. Es gibt alte Tempel, schöne Strände, bunte Märkte. Das ist die Touristenseite. Für die Einheimischen sieht das Leben o! anders aus. Viele alte Menschen haben keine Rente, und viele Familien können sich keine Krankenversicherung leisten. Wer auf dem Land lebt, kann sich glücklich schätzen, mehrere gesunde Kinder zu haben, die später eine Versorgung übernehmen. Jedoch sind fast zehn Prozent aller vietnamesischen Kinder von Geburt an behindert: mit Down Syndrom, blind, körperbehindert, sehr o! herzkrank. Fast immer sind dies Folgen des Entlaubungsmittels „Agent Orange“, das vom US-Militär im Vietnam-Krieg eingesetzt wurde. Es hat die Gene verändert. Hinzu kommt die Armut in breiten Bevölkerungsschichten. Ein Reisbauer verdient rund 60 € im Monat. Der versorgt damit dann auch noch seine alte Mutter und drei Kinder. So jemand kann sich keine OP leisten. In Hue oder in Ho-Chi-Minh-Stadt sitzen diese armen Menschen dann zwischen Hunderten von Kranken vor den Kliniken und hoffen auf einen mildtätigen Spender aus Kanada, Frankreich oder Deutschland, der ihrem Kind eine Operation bezahlt.
Statt-Magazin: Und ihr müsst dann quasi über Leben und Tod entscheiden?
H.Hoefs: Manche Entscheidung fällt wirklich schwer. Wir versuchen zuallererst nachzuprüfen, ob die Familien wirklich arm sind. Wir arbeiten mit einheimischen Vertrauenspersonen zusammen, besuchen die Familien im Krankenhaus und auch zuhause, um eine Nachsorge zu ermöglichen. Das sind bewegende Begegnungen für mich. Man muss sich mal vorstellen: In einem Krankenzimmer stehen zehn Betten. Darin campieren aber mitunter noch bis zu zwanzig Erwachsene, die bei ihrem Kind und ihrer Familie sein wollen. Sie kochen dort und schlafen zwischen den Krankenbetten auf Bambusmatten. Da kommen Gefühle auf! Einerseits bin ich fast beschämt, wie gut es uns geht, und wie erniedrigt sich manchmal die Väter der kranken Kinder fühlen, da sie aus eigener Kraft nicht helfen können. Zugleich empfange ich aber das Glück und tiefe Dankbarkeit der Eltern. Das überträgt sich. Auch manche eher banalen Erlebnisse vergisst man nie! Einmal habe ich mir bei einem Straßenfrisör auf dem Land die Haare schneiden lassen. Der war etwa 80 Jahre alt, hatte ein Bein amputiert und arbeitete in einer kleinen Wellblechbaracke am Straßenrand vor einem halbblinden Spiegel. Ein Haarschnitt kostet bei ihm normalerweise 20 Cent. Er war so stolz, erstmals in seinem Leben einen Europäer frisieren zu dürfen. Ich wollte ihm einen Schein als Trinkgeld geben, so viel bezahlen wie hier in Deutschland auch. Das hat er strikt abgelehnt, er wollte kein Geld. Ich hab mir immer vorstellen müssen, wie dieser Mann wohl im Krieg gelitten hat. Das ging mir alles sehr nah. Später hab ich ihm dann ein Lied geschrieben. „Kein Agent Orange mehr in der Luft – nur deine Seife – Orangenduft“.
Statt-Magazin: Du bist mit Ba Hai Nguyen, der öfters in seine alte Heimat fiegt, für euren Verein sozusagen verantwortlich für die Vietnam-Hilfe. Ihr habt dort inzwischen gute und vertrauenswürdige Kontakte. Welche Hilfsstrukturen konntet ihr ausbauen?
Koblenzer Statt-Magazin Herbst/Winter 2017 29
Informationen:
www.friedenskinder.de,
Kreisstraße 4, 56077 Koblenz,
Tel. 0261-77288.
Spendenkonto: Sparkasse Koblenz,
IBAN: DE19 5705 0120 0000 2110 11
H.Hoefs: Neben den geschilderten Herz-Operationen unterstützen wir ein Waisenhaus, in dem vier Vollwaisen und weitere Kinder leben, deren Eltern sie trotz Arbeit nicht ernähren können. Hier konnten wir auch helfen, eine angegliederte Schule einzurichten. An notwendigen Kosten beteiligen wir uns. So haben wir sanitäre Anlagen erneuern lassen und die Reparatur des Daches übernommen. Außerdem betreuen wir neun Kinder aus sehr armen Familien, für die wir Paten hier bei uns finden konnten. Diese Kinder benötigen Geld vor allem für ihre Schulbildung, die leider im sozialistischen Vietnam immer mit Kosten verbunden ist. Nicht zu vergessen ist die Anstellung einer engagierten jungen Frau am Krankenhaus, die Kontakte zu den Familien herstellt und aufrecht erhält.
Statt-Magazin: Wirklich eine Initiative, zu deren Unterstützung man nur aufrufen kann. Was sind Projekte, wo man helfen kann?
H.Hoefs: Zum Beispiel fallen auch in Kenia oder Ruanda laufende Personalkosten für Pädagogen oder Küchenpersonal an. Das braucht Dauerspender. Natürlich suchen wir immer auch weitere Paten. Mit etwa 20 Euro im Monat kann man dauerha! die Ausbildung und den Lebensunterhalt eines Kindes absichern. Aber jeder soll so viel geben, wie er kann und will. Darüber informieren wir gerne. Auch in Schulen halten wir Vorträge, und es entwickeln sich tolle Sponsoraktionen, z.B. in den Gymnasien auf dem Asterstein, dem Johannes-Gymnasium in Lahnstein oder in der Grundschule Moselweiß .Da kommen wir natürlich besonders gerne vorbei.
Statt-Magazin: Ich danke dir für deine und eure Arbeit und das Gespräch. Bleibt uns nur noch auf das Spendenkonto und die Homepage des Vereins „Friedenskinder e.V.“ hinzuweisen. Bitte liebe Leser*innen, gebt ein wenig von eurem Reichtum ab. Hier wird es gebraucht und ist in guten Händen.
Unser Gesprächspartner Hartmut Hoefs ist ehemaliger Grundschulrektor und neben den Friedenskindern in mehreren kulturellen und Flüchtlingsprojekten aktiv. Das Gespräch führte Egbert Bialk.
Foto: Hartmut Hoefs
Liedtext: Herzen in Vietnam
Es schlagen Herzen in Vietnam, dadam, dadam, dadam …
mit uns im Takt, hör es dir an, dadam, dadam, dadam,
Das macht nicht nur die Eltern froh, die Nachbarn und die Tanten
wir alle freu´n uns sowieso, das Dorf und die Verwandten.
Vor langer Zeit, da gab es Krieg, mit Bomben, Gas und Gi!,
und jeder wusste, selbst wer siegt, Gewinner gibt es nicht.
Die kleinen Leute leiden nur, verlieren Land und Haus.
Kinder, Tiere und Natur, die baden alles aus.
Noch heute, gibt es Kinder dort, die kommen krank zur Welt,
doch stehen wir zu unsrem Wort, wir sammeln )eißig Geld.
Wir zahlen ihnen die OP und schenken großes Glück.
Der Arzt, die Schwestern in Hue, sie geben´s uns zurück.
Gedanken an ein fernes Land, an Hilfe und Geschick,
an Lächeln und die warme Hand, den tiefen Augenblick,
zu fühlen, dass ein Kind jetzt lacht, und spielt und lernt und
weiß, dass wir ihm dieses Glück gebracht, das ist der große Preis.
Und wenn es dann mal größer ist, wird’s eine Zukun! geben.
Ich glaube nicht, dass es vergisst, nie mehr im ganzen Leben.
Vielleicht entwickelt es sogar sein Naturtalent, wird lieber Mensch,
Mama, Papa und Friedenspräsident.
(Hartmut Hoefs)